Donnerstag, 12. Juli 2012
(Sächsische Zeitung)

„In Grünanlagen sollen Kohlrabi und Blumen wachsen“
Von Sebastian Beutler

Aus der Not eine Tugend machen: Linkspartei-Chef Mirko Schultze will neue Wege bei der Pflege von Parks gehen.

Da steht Mirko Schultze nun im kleinen Park zwischen Bahnhof und Kathedrale St. Jakobus. Für ihn ein idyllisches Plätzchen, das auch für seinen Vorschlag gut geeignet wäre: Blumen und Gemüse für die Görlitzer Bürger in städtischen Grünanlagen anzupflanzen. Foto: Nikolai Schmidt

 

Im Fernsehen hat der Chef der Linkspartei in Görlitz, Mirko Schultze, von einer Initiative der Stadt Andernach in Rheinland-Pfalz gehört. Die Stadt hat die Pflege ihrer Grünanlagen umgestellt. Die Bürger sollen dort Nutzpflanzen anbauen. Eine Idee, die Schultze für nachahmenswert hält. Die SZ sprach mit ihm darüber.

Herr Schultze, sollen die Görlitzer wie nach 1945 jetzt wieder Kartoffeln auf dem Wilhelmsplatz anpflanzen?

Nein. Mir geht es nicht darum, in großem Stil die wichtigen Plätze der Stadt zu landwirtschaftlichen Nutzflächen umzugestalten. Es geht vielmehr darum, dass Bürger an geeigneten Grünflächen in Görlitz Nutzpflanzen wie Kohlrabi oder Blumen anpflanzen können.

Welche Flächen sind denn aus Ihrer Sicht geeignet?

Beispielsweise wären Flächen um den Kaisertrutz herum, in der Ochsenbastei geeignet, auch kleinere Anlagen in Rauschwalde, Weinhübel und Königshufen. Das könnte schön und nützlich sein, und pflegeleichter ist es allemal, als dreimal im Jahr die Bepflanzung zu wechseln.

Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass die Bürger jetzt die Grünanlagen nutzen sollen, weil die Stadt nicht ausreichend Mittel für deren Pflege hat?

Nein. Wir kommen nicht zu den Nachkriegsjahren zurück, als die Grünanlagen zu Kartoffeläckern umgestaltet wurden. Hier geht es um eine neue Art der Nutzung des öffentlichen Raums.

Wie müssen wir uns das dann vorstellen: Jeder interessierte Görlitzer legt sein Beet in einer Grünanlage an, wo er Gemüse züchtet und die Schnittblumen für zu Hause?

Es geht nicht darum, das Schrebergartenprinzip in Grünanlagen anzuwenden. Die Stadt wird weiterhin die Anlagen bewirtschaften. Aber statt Stiefmütterchen werden vielleicht Kräuter ausgesät. Die können dann die Görlitzer ernten, und vielleicht hat der eine oder andere Lust, auch noch an der Stelle Unkraut zu jäten.

Auf dem Postplatz blüht jetzt schon der Dill in der Blumenrabatte.

Ich finde diese Idee positiv. Das kann ein Anfang sein. Man muss auch nicht wie Andernach gleich alle Grünanlagen umstellen. Schließlich müssen auch die Görlitzer mitgenommen und für das Projekt gewonnen werden. Aber ich denke, es könnte positive Effekte darauf haben, dass sich die Menschen mit der Stadt identifizieren und den öffentlichen Raum mitgestalten. Es geht also nicht darum, irgendwo Dill anzubauen, sondern darum, ein Projekt zu entwickeln.

Soziale Gartenprojekte wie beispielsweise die Tafelgärten sind in Görlitz über ein Anfangsstadium nie hinausgekommen. Warum soll das Andernacher Modell in Görlitz besser funktionieren?

Die individuellen Gartenprojekte waren gut gedacht und besitzen bestimmt auch eine gewisse Notwendigkeit in größeren Städten. Görlitz aber halte ich dafür für zu klein. Wer hier einen Schrebergarten haben will, der hat auch einen – egal, ob er Arbeit hat oder Hartz IV bezieht. Andernach aber läuft anders. Da muss niemand einen Schrebergarten bewirtschaften, sich auch nicht mit sozial ähnlich Betroffenen zusammenschließen. Vielmehr können Bürger Blumen, Gemüse oder Kräuter anbauen und ernten im öffentlichen Raum.

Und dann steht so ein Schild wie an Feldern entlang von Landstraßen: Blumen pflücken erlaubt?

Ja, so stelle ich mir das vor.

Ist das der rettende Ausweg für das Dilemma der Stadt, dass die Gelder für den Betriebshof offensichtlich nicht reichen, damit er die Grünanlagen in der Stadt in gewohnter Weise pflegt?

Es wird sicher nicht der rettende Anker sein. Aber dadurch ist ein Teil, vielleicht sogar ein erheblicher Teil der Kosten für die Pflege der Anlagen einzusparen. Gleichwohl müssen bestimmte Betriebshofleistungen weiter finanziert werden. Da hilft nur eine bessere kommunale Finanzausstattung.

Hat Andernach schon Nachahmer gefunden?

Das ist mir nicht bekannt, aber ich habe das auch nicht erforscht. Aber wir könnten ja anfangen, auf diesem Weg zu gehen. Und ganz nebenbei würden wir mit den frischen Kräutern, Obst und Gemüse in Bio-Qualität auch noch zur gesunden Ernährung der Stadt beitragen und vielleicht auch neue Arten anbauen. Und wer will kann den Samen dieser Pflanzen mit in seinen Garten nehmen und somit den heimischen Artenreichtum mehren.

Glauben Sie wirklich, dass Sie eine Mehrheit in der Stadt für Ihre Idee gewinnen können?

Wenn ich das nicht glauben würde, würde ich es nicht sagen. Es ist eine sehr gute Idee, darüber sollten wir nachdenken. Und wir sollten den Mut haben, neue Wege zu gehen. Die Kulturhauptstadt-Bewerbung hat ja gezeigt: Wenn wir den Mut haben, neue Wege zu gehen, dann profitieren wir auch davon.

Das Beispiel Andernach ist zu finden unter

www.sz-link.de/andernach