Liebe Freunde, Genossinnen und Genossen, werte Gäste,

Faysal Saryildiz3

Rede beim Besuch kurdischer Abgeordneter

mir ist bewusst, dass die meisten von Euch/Ihnen hier sind, um unseren Gast Faysal Sariyildiz zu hören und seine Sichtweise auf die aktuelle Situation in der Türkei in den kurdischen Gebieten oder wie wohl die meisten hier sagen würden, in Kurdistan, zu erfahren. Mir ist auch bewusst, dass wir aus Deutschland heraus, als deutsche Parlamentarier nur einen eingeschränkten Blick auf die Ereignisse haben können und haben sollen. Die mediale Berichterstattung ist nur in den seltensten Fällen und dies dann ehern zu unüblichen Sendezeiten auf ein objektives Bild der Kurdinnen und Kurden ausgerichtet und dies hat Ursachen auch in der deutschen Politik: Erinnern wir uns gemeinsam zurück. Die BRD verbot auf Drängen des NATO Partners Türkei die kurdischen Selbstorganisationen, allen voran die PKK und stufte sie als terroristische Vereinigungen ein. Damit waren die kurdischen Menschen eines legalen Mittels beraubt, um auf die Situation in der Türkei aufmerksam zu machen und alternative Lösungen anzubieten. Die Friedensbemühungen, auch durch den immer noch inhaftierten Führer der PKK Abdullah Öcalan, stießen zunächst auch auf offene Ohren und zumindest im Westen verfestigte sich der Eindruck, der Friedensprozess könne gelingen. Beispiele wie Nordirland oder das Baskenland vor Augen, glaubten viele an den Frieden auch in Kurdistan. An der deutschen Politik, die meisten kurdischen Organisationen als terroristisch einzustufen, änderte dies allerdings nichts, der Bündnispartner Türkei war und wie wir leider heute sehen, ist da immer noch bestimmend für Entscheidungen in Berlin. Die Berliner Doppelmoral brach dann spätestens nach dem Irakkrieg voll umfänglich aus. Da bejubelte deutsche Politik die autonome Region im Nordirak, die dortige Führung unter Masud Barzani war und ist ja auch der Türkei und dem kapitalistischen Weltbild – ich sag es mal ungeschützt – ehern verbunden, als dass sie die Systemfrage stellt und Ursachen benennt, die in kapitalistischem Gewinnstreben, Ressourcenverfügbarkeit und geostrategischer Machbalance zur Sicherung von Handels- und Wirtschaftswegen begründet liegt. Kein Krieg der letzten Jahrzehnte im Nahen Osten oder in Afrika ist ohne diesen Zusammenhang denkbar und wenn Krieg als Mittel der Politik überwunden werden soll, dann geht es eben nicht nur um Waffenlieferungen oder Glaubensrichtungen, dann muss die Systemfrage gestellt werden. Ein auf Ressourcen angewiesener und in der Spirale des Wachstums verklemmter Kapitalismus wird immer neue Kriege von Zaun brechen. Er braucht sie genauso, wie er die Arbeitskräfte braucht und weil er sie braucht, kann das kapitalistische System keinen Frieden bringen. Es kann maximal einen konkreten Konflikt beenden, wenn es im Interesse der kapitalistischen Ordnung ist. Friede kann nur entstehen, wenn die Menschen selbst in den Mittelpunkt der politischen Entscheidungen rücken. Frieden entsteht erst, wenn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beendet ist. Damit sind wir aber wieder bei einem Problem, welches sich in den Ländern Syrien, Irak, Iran und der Türkei aufzeigt, die Kurdinnen und Kurden, welche begonnen haben ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und sich zu organisieren.

Die Deutschen haben wie gebannt auf die Nachrichten gestarrt, als es um die Verteidigung von Kobane ging und viele haben aufrecht mitgefiebert und den Kämpferinnen und Kämpfern Erfolg gewünscht. Die Türkischen Panzer an der Grenze, die Berichte über die türkische Hilfe für den IS haben doch auch in diesem Land Menschen wütend gemacht, die keine Verwandten in der Region hatten. Aber haben wir uns ernsthaft mit dem WARUM auseinandergesetzt, haben bzw. wissen wir in Deutschland – also wir Deutschen – überhaupt, warum Kobane so erbittert verteidigt worden ist? Ist uns bewusst welche Idee, welche Leistung und vor allem, welche Menschen dahinterstehen? Sehen wir den emanzipatorischen Ansatz, sehen wir die Glaubensfreiheit, sehen wir das antikapitalistische Projekt einer neuen Ordnung, welches dort geschaffen worden ist? Ich befürchte nein! Als die deutsche Regierung beschloss, Waffen an die Peschmerga zu liefern, dachten doch die meisten, wir würden jetzt die Kurdinnen und Kurden auch im Kampf um Kobane unterstützen, von Rojava hatten die wenigsten gehört.

In Deutschalnd wurde so mancher erst stutzig, als die Bilder nicht mehr mit den Texten übereinstimmten. Wir erinnern uns an die Befreiung der Jesiden, die auf einem Berg vom IS eingekesselt waren. Wir sahen Kämpferinnen und Kämpfer, die sie befreiten, aber die nicht unsere Waffen trugen, sondern alte Kalaschnikow, die modernen Deutschen Waffen sahen wir selten im Einsatz. Die Wimpel an den Uniformen sahen auch nicht aus wie die, welche bis dahin in der Tagesschau als Helden gefeiert worden sind. Da fiel es einigen – wenn auch zu wenigen – wohl deutlich auf – die bei uns verbotenen Organisationen – die Regierung nennt sie ja immer noch Terroristen – sind dort vor Ort die wirklichen Befreierinnen und Befreier. Es sind Einheiten der YPG und der YPJ.

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FaysalSaryldz spricht im Dresdner Gewerkschaftshaus zur Lage in Kurdistan

Was das alles mit der Türkei und unserem heutigen Gast zu tun hat? Was das alles mit der HDP und dem Auftreten des AKP Despoten Erdogan zu tun hat? Sehr viel! Die heutige Situation in der Türkei wäre ohne Irakkrieg, ohne Syrienkonflikt, ohne Stellvertreterkrieg zwischen NATO, Russland, Iran, Saudi-Arabien und Irak gar nicht denkbar, sie wäre schlicht nicht möglich. Erst durch die erfolgreichen Befreiungskämpfe der Kurdinnen und Kurden in Syrien, erst durch die Aufrüstung der ganzen Region und erst durch das Versagen der westlichen Welt bei der Bewältigung einer Flüchtlingsbewegung auf die Mitte von Europa zu sind doch in unterschiedlichen Weise die Grundlagen geschaffen worden, die es heute ermöglichen, dass die EU einen skandalösen Deal mit einem Pascha vom Bosporus schließt. Erst unsere Fehler hier im Westen, unser Kriegseintritt, unsere Doppelmoral und unsere Eigeninteressen haben doch einen Tyrannen wie Erdogan die Mittel gegeben, die er brauchte um den Friedensprozess zu stoppen. Seine Träume vom wiedererstarken des Osmanischen Reiches, mit ihm als Sultan, mögen schon immer in seinem Kopf geschlummert haben, dass er sie ausleben kann ist die Schuld des durch kapitalistische Geointeressen verursachten Entflammens immer neuer Kriegsherde, egal ob in Syrien oder in Nordafrika. Entweder wurden die Länder destabilisiert, um ihre Ressourcen auszuplündern oder wenn dies nicht funktionierte, dann hat es die sich selbst als überlegen fühlende westliche Welt mit Freihandelsabkommen gemacht. Stellen wir uns mal vor, die deutsche konservative Politik von SPD bis CSU hätten nicht Angst vor der neuen Bewegung bekommen, welche sich rund um die Flüchtlingshilfe organisierte und plötzlich die junge Frau vom CVJM neben dem von Anarchie träumenden Punker gestanden hätte, wenn nicht plötzlich Umweltbewegte neben Grundeinkommensbeführwortern gestanden hätten, der Student neben der Arbeiterin, der junge Vater neben dem alt 68iger und alle zusammen nicht nur Willkommen riefen und Hilfe organisierten, sondern gemeinsam auch nach dem Warum fragten. Warum flüchten Menschen, warum kann eines der reichsten Länder der Erde nicht 1 Millionen Menschen aufnehmen, wo doch in anderen, viel ärmeren Ländern ein Vielfaches aufgenommen wird. Die Menschen begannen die Systemfrage, die Frage nach dem WARUM zu stellen und das wurde zur Gefahr. Das sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Gegenbewegung von Rassisten, Wutbürgern und ehrlich besorgten Menschen mobilisierte ist eine, wenn auch unschöne, aber logische Konsequenz. Konflikte werden nun mal nicht einseitig ausgetragen. Aber zu diesem Zeitpunkt hätte die herrschende Politik die Herausforderung annehmen müssen, sie hätte den Kampf um die Köpfe aufnehmen müssen, sie hätte nach dem: Wir schaffen das!, ein: so schaffen wir das! hinterher setzen müssen- nur wollte sie das? Nein, ihr war der Mob von Pegida über Bürgerwehren bis NPD recht, sie nutzen die Ausschreitungen, die mediale Präsenz um das schon 1994 verstümmelte Asylgesetz nun endgültig abzuschaffen. Sie nutzten es dafür, Abschiebungen zu erleichtern, sicherere Länder zu erfinden, die so sicher sind, dass man da nicht hinreisen könnte, wenn man wöllte. Sie nutzen den Schleier, den Merkel mit dem „Wir schaffen das“ um ihre Politik der Abschottung durchzusetzen. Deutschland, schon längst ein Einwanderungsland, sollen zumindest in den Köpfen von SPD bis CDU geordnet, deutsch und christlich bleiben. Ihre Bekenntnisse zu Integration und Asyl und Genfer Flüchtlingskonfession sind Lippenbekenntnisse und so haben sie sich am Erstarken der AfD mit schuldig gemacht und die Anhänger von AfD und Pegida, welche sicher weder die Visafreiheit für die Türkei, noch die 6 Millionen Euro Zahlung wollen, sind nun die Steigbügelhalter für eben diese aus dem Türkeideal stammenden Ergebnisse. Nur weil man Angst vor dem fremden hat und hatte, weil man seine kleine Scholle nicht durch Einflüsse von außen verändern wollte, nur weil eine islamische Bedrohung und eine Überfremdung ja viel einfachere Erklärungsmuster sind, wie die Frage nach den wirklichen Ursachen. Nur weil es einfacher ist, den Schwachen zu hassen, als den Mächtigen zu bekämpfen. Nur weil nicht die Paläste gestürmt werden, sondern die Notlager angezündet, nur deswegen haben wir jetzt einen Politik, die es fast unmöglich macht Erdogan und seinem mörderischen Spiel Einhalt zu gebieten. Wie sähe das nach den Versuchen in Ungarn, in der Slowakei und in Polen aus, welche den Rechtsstaat und die Freiheit nur einschränkten nicht abschafften, nun ein NATO- Mitglied sich auf den Weg macht, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit abzuschaffen, dies ist die wirkliche Bedrohung vor der wir stehen. Die Genossinnen und Genossen der HDP kämpfen deshalb einen Kampf für uns alle und deswegen müssen wir sie in ihrem Kampf unterstützen. Wir dürfen uns nicht an scheinbar Unterschiedlichem trennen lassen.

Faysal Saryildiz4

Gemeinsam mit dem Deutsch-Kurdischen Verein Dresden sprechen wir mit dem Abgeordneten der HDP Faysal Sariyildiz über die Situation in der Türkei

Wir müssen das Gemeinsame suchen und finden. Wir müssen Seite an Seite in internationaler Solidarität stehen, denn es geht hier nicht um einen Einzelnen, es geht auch nicht um ein Land. Es geht um die Entscheidung, wie diese Welt in Zukunft aussehen wird. Verlieren die Kurdinnen und Kurden in ihrem gerechten Kampf, dann wird Erdogan nur der Erste einer ganzen Reihe von Despoten sein, die zurück zur absoluten Macht kehren und dabei über Leichen gehen. Heute sind unsere Genossinnen und Genossen von der HDP bedroht, heute sind Journalistinnen und Journalisten in der Türkei bedroht, morgen schon können es zahllose Menschen in anderen, heute noch demokratischen freien Ländern sein, die ihren Kampf um die Freiheit des Menschen, die ihren Kampf gegen kapitalistische Barbarei mit Gefängnis oder Tod bezahlen. Es gibt schon genug Länder, in denen der Mensch des Menschen Wolf ist. Kämpfen wir gemeinsam darum, dass es weniger werden und nicht mehr! Heute in der Türkei an der Seite der HDP und morgen wo immer auch die Freiheit des Menschen bedroht ist. Der Kampf ist und bleibt international.